Numerik und Optimierung – Nichtglatte Variationsprobleme zur Modellierung von Supraleitung und Reibung

In supraleitenden Materialien ist der elektrische Widerstand unterhalb einer kritischen Temperatur verschwindend gering, so dass Strom praktisch verlustfrei transportiert wird.

Bei Scheibenbremsen, z.B. am Fahrrad, wird die Bremswirkung durch Reibung des Bremsbelags im Kontakt mit der Bremsscheibe erzeugt und dieser hängt von der Oberflächenstruktur des Bremsbelags ab. Diese beiden Aussagen würden außerhalb des Forschungsberichtes der Mathematik kaum mit einander in Verbindung gebracht.

Die mathematische Modellierung der physikalischen Prozesse der Supraleitung bzw. des reibungsbehafteten Kontakts führen allerdings auf ähnliche mathematische Problemstellungen, die beide im DFG-SPP 1962 „Nichtglatte Systeme und Komplementaritätsprobleme mit verteilten Parametern: Simulation und mehrstufige Optimierung“ behandelt werden. An diesem Schwerpunktprogramm sind die Arbeitsgruppen von Prof. Irwin Yousept und Prof. Gerhard Starke über die gesamte Laufzeit von Oktober 2016 bis Oktober 2022 beteiligt. Die mathematische Gemeinsamkeit der Fragestellungen ist hierbei im Stichwort „nichtglatt“ zu finden.

Die gesuchten Prozessvariablen – im Falle der Supraleitung ist das die Stromdichte und im Falle der Reibung die Spannung im Bremsbelag – hängen nicht in allen Parameterbereichen differenzierbar von den angelegten Feldern ab, vielmehr besitzen diese genau im besonders interessanten Bereich“ nämlich beim Erreichen der kritischen Stromdichte bzw. beim Übergang von Haften zum Gleiten, einen „Knick“.

Aus mathematischer Sicht handelt es sich in der mathematischen Beschreibung der Prozesse um sogenannte Variationsungleichungen, für die in den letzten Jahrzehnten eine sowohl umfangreiche Lösungstheorie als auch numerische Methoden zur effizienten Konstruktion von Approximationen entwickelt wurden. Ein wichtiger Bestandteil der Lösungsstrategie sind adaptive Netzanpassungen auf der Basis von Fehlerschätzern, um von vornherein die Dimension der diskretisierten Probleme nicht zu sehr anwachsen zu lassen. Eine zweite Komponente sind geeignete iterative Verfahren zur näherungsweisen Lösung der diskretisierten Probleme, die immer noch hochgradig nichtlinear und nichtglatt sind. Für beide Teilaspekte spielen Komplementaritätsbedingungen eine Rolle, bei denen Lagrange-Multiplikatoren einbezogen werden.

Für die in unseren Teilprojekten behandelten Aufgabenstellungen lassen sich die etablierten Methoden für Variationsungleichungen allerdings nicht direkt einsetzen. Wir haben es mit hyperbolischen Evolutionsungleichungen (im Fall der Supraleitung) bzw. mit Quasi-Variationsungleichungen (im Fall der Reibung) zu tun. Im ersten Fall können zeitabhängige Unstetigkeiten in der Stromdichte sowie Singularitäten in den elektromagnetischen Feldern auftreten, im zweiten Fall hängt die Variationsformulierung selbst von der Lösung ab. Damit gab es in den beiden Projekten genug Forschungsfragen für je eine Promotion und danach auch noch eine reichhaltige Postdoc-Phase.