Wandel von Gegenwartsgesellschaft

Forschung

Ein Großteil der Forschung unter dem Dach des Profilschwerpunktes lässt sich in folgende drei Themenbereiche zusammenfassen. 

Transnationale Arbeitsmärkte als Teile einer sozialen und politischen Ordnungsbildung in einer zunehmend entgrenzten Welt

Nationalstaaten besitzen zunehmend Arbeitsmärkte, deren Grenzen nicht mehr mit ihren eigenen übereinstimmen. Damit wird Arbeit in sich verändernden Kontexten erbracht, die neue Herausforderungen für die Akteure auf dem Arbeitsmarkt, aber auch für Regierungen, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände kreiert. Wie kann Arbeit unter solchen Umständen organisiert werden? Wie wird Arbeit wahrgenommen? Was sind die Bedingungen „guter Arbeit“?

Ausgehend von den bereits durch einen DFG-Paketantrag geförderten Einzelanträgen zum Thema „Grenzüberschreitende Arbeitsmärkte” von Prof. Ingo Schulz-Schaeffer („Techniken und Praktiken der Zusammenarbeit in transnationalen Projekten der Softwareentwicklung“), Prof. Karen Shire („Grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung“) Prof. Petra Stein („Modellierung von dyadischen Entscheidungsprozessen räumlicher Mobilität und ihren Konsequenzen“) und Prof. Thomas Haipeter („Interessenvertretung in nationalen und transnationalen Handlungsräumen: Unternehmensrestrukturierung und das Problem der Interessenartikulation“) findet derzeit eine weitere Ausarbeitung dieses Projektclusters unter dem Dach des Profilschwerpunktes statt. Im Mittelpunkt steht weiterhin die Frage nach den institutionellen Einflüssen auf die Transnationalisierung von Arbeit, sei es als grenzüberschreitende Mobilität von Arbeitskräften, Transnationalisierung von Produktionsstandorten und Arbeitsstätten oder transnationale Mobilität von Arbeitstätigkeiten. 

Dr. Birgit Apitzsch (Institut für Soziologie) untersucht in dem durch MERCUR geförderten Projekt gemeinsam mit Kolleg*innen der Technischen Universität Dortmund (TU Dortmund) unter dem Titel „Kollektive Individualisierung – individuelle Kollektivierung?“ branchenvergleichend die Aushandlung von Arbeitsbedingungen im Bereich der hochqualifizierten Solo-Selbstständigen sowie die Rolle und den Einfluss unterschiedlicher Akteure auf der intermediären Ebene (zum Beispiel Agenturen, Berufsverbände, Gewerkschaften). 

Politische und soziale Steuerung (Governance) innerhalb und über nationale Grenzen hinweg 

Governance bezeichnet allgemein die Steuerung komplexer Organisationen, insbesondere von staatlichen Strukturen. Globale Governance ist die Steuerung von strukturellen Allokationsmechanismen zwischen Staaten oder durch einzelne Staaten, welche die ganze Welt oder einen Großteil der Welt umfassen. Transnationale Governance ist der globalen Governance übergeordnet und bezeichnet die Grenzen des Nationalstaates überschreitende Steuerung, auch im Kleinen. Welche Formen effizienter Steuerung im Spannungsfeld zwischen Nationalstaaten und Globalisierung sind möglich? Was sind die ordnungsbildenden Strukturen, auf denen aufbauend Governance (noch) stattfinden kann? Welchen Spielraum haben gesellschaftliche und wirtschaftliche Akteure in den „neuen“ Steuerungsstrukturen? Die folgenden Projekte versuchen, diese Fragen aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten:

PD Dr. Daniel Lambach (Institut für Politikwissenschaft) konnte bei der DFG erfolgreich sein Projekt „Gewaltloser Widerstand und demokratische Konsolidierung“ einwerben. Er untersucht, ob gewaltloser Widerstand gegen autoritäre Regime in den letzten Jahren neue öffentliche und wissenschaftliche Aufmerksamkeit erfahren hat. Bestätigen aktuelle Studien die Wirksamkeit dieser Strategie zur Herbeiführung politischen Wandels, so wurde bislang noch nicht untersucht, welche langfristigen Auswirkungen gewaltloser Widerstand für die Konsolidierung einer Demokratie hat. 

Mitglieder des Profilschwerpunktes aus dem Themenbereich globale und transnationale Governance waren in 2014/2015 auch im Bereich der MERCUR-Förderung erfolgreich. Gefördert wird ein Kooperationsprojekt von Dr. Cornelia Ulbert (Institut für Entwicklung und Frieden, INEF) mit der Ruhr-Universität Bochum unter dem Titel „Politische Autorität und transnationale Governance-Arrangements: Regulierung durch staatliche und private Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards in der asiatischen Textil- und Bekleidungsindustrie“. Ziel der Kooperation ist es, eine Bestandsaufnahme von Governance-Arrangements und auf „privater Autorität“ beruhender Standards vorzunehmen, die fehlende Rechtsnormen im Bereich des Arbeits-, Sozial- und Umweltschutzes ausnutzen oder diese ersetzen sowie die Analyse des Zusammenspiels staatlicher und privater Normsetzung.

Prof. Andreas Blätte (Institut für Politikwissenschaft) arbeitet derzeit mit Kolleg*innen der RUB an einem gemeinsamen MERCUR-Projekt unter dem Titel „Arenen der politischen Interessenvermittlung in Deutschland“. In diesem Projekt wird, ebenso wie in seinem Projekt „Plenarprotokolle als öffentliche Sprachressource der Demokratie“ (gefördert vom BMBF im CLARIN-D-Verbund), ein von ihm und seinem Team entwickelter Textkorpus aus einer Vielzahl Plenardebatten sowie die zur Auswertung notwendige technische und methodische Infrastruktur namens PolMine genutzt. 

Die Transformation von Risiko und Wohlfahrt in ständig sich verändernden Kontexten 

Die Wohlfahrt von Menschen und Gesellschaften ist neuen Herausforderungen ausgesetzt, die durch globale Veränderungen wie Deindustrialisierung, Tertiärisierung, demographischen Wandel, Klimawandel und politische Veränderungen ins Rollen gebracht werden. Dabei ändern sich die Risikostrukturen für individuelle, wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Akteure. Wie gehen diese Akteure mit den neuen Herausforderungen um? Was bedingt die unterschiedlichen Kristallisationen von Risiken und Wohlfahrt für verschiedene Akteure? Wie entwickelt sich der Komplexitätsgrad von Risiken und darauffolgenden Konsequenzen für Individuen und kollektive Akteure?

Entstanden aus dem durch den Profilschwerpunkt finanzierten Themenentwicklungsworkshop „Versicherung und Absicherung persönlicher Risiken: das Zusammenspiel von Individuen, der Familie, des Marktes, gesellschaftlicher Gruppen und des Staates in verschiedenen Regionen und Epochen“, konnte ein erster Drittmittelerfolg verzeichnet werden. Im bei der Funk-Stiftung eingeworbenen Projekt „The Management and Perceptions of Big Risks“ wird aus den unterschiedlichen Perspektiven der empirischen Politikwissenschaft (Prof. Achim Goerres), der Finanzmathematik (Prof. Rüdiger Kiesel) und der praktischen Philosophie (Prof. Andreas Niederberger), untersucht, wie Öffentlichkeit und Entscheidungsträger*innen im 21. Jahrhundert mit „Big Risks“ wie Klimawandel, demographischem Wandel und Staatsschulden umgehen.

Weitere Aktivitäten

Das erfolgreich bei der DFG eingeworbene Forschungsprojekt „Forumsdiskussionen im Internet als qualitatives Forschungsinstrument“ von Prof. Carsten Ullrich und Dr. Daniela Schiek (Institut für Soziale Arbeit und Sozialpolitik) befasst sich mit der Frage, welche methodischen Möglichkeiten Gruppendiskussionen in Webforen der qualitativen Sozialforschung eröffnen. Dazu werden unterschiedliche Formen von Forumsdiskussion (Gruppendiskussionen in Webforen) in einem experimentellen Design hinsichtlich ihrer methodischen Bedeutung systematisch untersucht und verglichen.

Auch Prof. Andreas Niederberger (Philosophie) und Prof. Volker Michael Heins (Kulturwissenschaftliches Institut Essen) konnten sich bei der Einwerbung von MERCUR-Fördermitteln durchsetzen und ihr Projekt „Ethik der Immigration“ erfolgreich einwerben. Sie versuchen, gemeinsam mit Kollegen der TU Dortmund und der RUB, ein präziseres Verständnis des Rechts auf internationale Bewegungsfreiheit zu entwickeln. Dazu untersuchen sie, ob verschiedene Migrationsgründe das Recht auf Zuwanderung stärken oder eingrenzen, welche Ansprüche bzw. Pflichten sich aus den Zuwanderungsmotiven ableiten lassen und inwieweit es moralisch zulässig ist, Einwanderer auszuschließen.

Prof. Benjamin Scheller (Historisches Institut) untersucht gemeinsam mit Prof. Frank Becker (Historisches Institut), Prof. Barbara Buchenau (Department of Anglophone Studies), Prof. Gabriele Genge (Institut für Kunst und Kunstwissenschaft) und Prof. Patricia Plummer (Department of Anglophone Studies) im MERCUR-Projekt „Ambiguität und gesellschaftliche Ordnung“, wie grundsätzliche Ergebnisse zu den Bedingungen der Möglichkeit von Ambiguitätstoleranz zu erzielen sind. Dieses interdisziplinäre Projekt von Geschichtswissenschaft, Literaturwissenschaft, Kulturwissenschaft und Kunstwissenschaft vereint damit komplementäre Perspektiven auf kulturelle Ambiguität und ihre Bewältigung.

Wissenschaftlicher Nachwuchs und Promotionsprogramme

Durch die interdisziplinäre Arbeitsgruppe „Mediale Diskursivierungen von Arbeit“ konnte unter der Leitung von Prof. Christoph Bieber (Institut für Politikwissenschaft), Dr. Thomas Ernst (Institut für Germanistik), Prof. Rolf Parr (Institut für Germanistik) und weiteren Kolleg*innen der UDE, erfolgreich ein von der Hans-Böckler-Stiftung gefördertes Promotionskolleg eingeworben werden. Im Zentrum des Kollegs steht die Frage, wie Wissen über Arbeit aus verschiedenen Spezialdiskursen in Medien wie Film, Fernsehen, Presse, Radio, digitalen Medien, Literatur, Theater und Musik aufgenommen, weiterverarbeitet und zu immer wieder neuen komplexen Gegenständen ‚Arbeit‘ zusammengeführt wird. 

Wie kann Kontingenz durch Handeln bewältigt werden, und wie denken Menschen über das Verhältnis zwischen gegenwärtigem Denken und Handeln und ihrer unsicheren (oder auch sicher geglaubten) Zukunft? Mit der historischen Dimension dieser höchst aktuellen Fragen beschäftigen sich die Historiker um Prof. Stefan Brakensiek und Prof. Benjamin Scheller an der UDE im DFG-Graduiertenkolleg „Vorsorge, Voraussicht und Vorhersage: Kontingenzbewältigung durch Zukunftshandeln“. Die beteiligten Historiker*innen hinterfragen und erweitern damit theoretische Überlegungen, die von einem prinzipiell neuen Verhältnis zur Kontingenz als einem der Charakteristika der Moderne ausgehen.

Gleich zwei Programme zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses lassen sich am Institut für Ostasienwissenschaften (IN-EAST) verorten. Die vom BMBF geförderte „IN-EAST School of Advanced Studies“ analysiert die fortschreitende technische Innovation Ostasiens, insbesondere mit Blick auf die Unterstützung und Annahme durch die Gesellschaft. Die Forschungsprojekte der IN-EAST School of Advanced Studies gehen dabei von der Grundannahme aus, dass Innovationen nicht allein technologischer Natur sind, sondern dass sie in ihrer Entstehung und Verbreitung von ihrer Einbettung in Institutionen abhängen. Auf dieser Grundlage werden die Besonderheiten von Innovationsprozessen in Ostasien analysiert und verglichen. Bereits in der zweiten Förderphase befindet sich das am IN-EAST angesiedelte DFG-Graduiertenkolleg 1613 „Risk and East Asia“. Die verschiedenen Promotionsprojekte der beteiligten Mitarbeiter*innen lassen sich den vier großen Prozessen gegenwärtiger sozialer Transformation – Marketisierung, Individualisierung, Dezentralisierung und Transnationalisierung – zuordnen und erlauben Rückschlüsse auf Universalität und Spezifizität des Institutionenwandels in Ostasien. 

Mit der Legitimitätspraxis in Gesellschaft und Regieren haben sich – gefördert durch den Profilschwerpunkt „Wandel von Gegenwartsgesellschaften“ – über zwei Jahre hinweg Nachwuchswissenschaftler*innen mehrerer Disziplinen in der Kolloquiumsreihe „Herausforderung Legitimität. Gesellschaft und Regieren unter veränderten Bedingungen“ befasst. Der daraus erwachsene referierte Konzeptband „Legitimitätspraxis. Politikwissenschaftliche und soziologische Perspektiven“, herausgegeben von Dr. Matthias Lemke, Dr. Oliver Schwarz, Dr. Toralf Stark, und Dr. Kristina Weissenbach ist im Sommer 2015 im Springer VS Verlag erschienen. Der Band bildet die Komplexität und Vielschichtigkeit des Begriffs der Legitimität und des interdisziplinären Austauschs darüber im Rahmen der Kolloquiumsreihe ab. Er liefert einen Einblick in das facettenreiche Gespräch zwischen Legitimitätsanalysen unterschiedlicher Disziplinen, Kontexte, Gegenstände, Forschungslogik und methodologischer Zugänge. Die Beiträge fokussieren Fragen nach der diskursiven Konstituierung von Legitimität ebenso wie Fragen nach komplexen Legitimationsprozessen in gesellschaftlichen und politischen Strukturen. Zudem kommen vielfältige Interaktionen politischer Organisationen, institutionalisierter Regelsysteme und individueller Akteur*innen in den Blick.