Über die Grenze

In vielen Projekten nicht nur des Lehrstuhls für Landesgeschichte der Rhein-Maas-Region und des InKuR, sondern auch des Instituts für Niederlandistik, spiegelt sich die Lage der UDE-Städte in einer Region, die historisch-kulturell die Grenze zu den Niederlanden einschließt. Gemeinsam mit der RU Nijmegen (Prof. Wim van Moers), der Hochschule Rhein-Waal (Prof. Alexander Brand) und der Hogeschool Arnhem organisieren Prof. Ute K. Boonen (Niederlandistik) und Prof. Fuchs die Summerschool „Werkstatt an der Grenze“ (2018–2021; Förderung u.a. Nederlandse Taalunie; Provinz Gelderland). Konzipiert als Projektwoche mit Vorlesungen, Übungen, Stadtführungen und Exkursionen findet sie jedes Jahr in einer anderen Stadt statt (2018: Kleve, 2019: Nijmegen). Das für 2020 in Essen geplante Treffen musste wegen der Corona-Pandemie verschoben werden. Die in Kleingruppen erarbeiteten Forschungsergebnisse zu Themen wie grenzüberschreitende Rettungsdienste, Euregio, europäische Energiepolitik u.v.m. werden einem breiteren Publikum präsentiert und jährlich in einer Abschlusspublikation veröffentlicht (werkstattandergrenze.ruhosting.nl).

Trotz der Nähe zu den Niederlanden gibt es nach wie vor Stereotype, die das jeweilige Selbst- und Fremdbild prägen. Deutsche sind präzise und pünktlich, Niederländer locker und pragmatisch. Dieses Schubladendenken ist kognitiv oft nützlich. Im Miteinander können solche Vorurteile allerdings zu Kommunikationsschwierigkeiten und Missverständnissen führen. Das Projekt „Unser Bild vom Nachbarn“ (Prof. Boonen) untersucht mehrere Fragen: Welche Stereotype prägen das Bild von „den Deutschen“ in den Niederlanden und umgekehrt von „den Niederländern“ in Deutschland? Wie entsteht dieses Bild, wie wird es z.B. von Literatur und Fremdsprachenunterricht geformt? Welche Erfahrungen machen Schüler*innen und Studierende in realen Begegnungen, wenn sie mit (positiven wie negativen) Vorurteilen konfrontiert werden? Inwiefern können interkulturelle Kommunikation und interkulturelles Lernen helfen, Unterschiede wertfrei aufzuzeigen und schätzen zu lernen und so Vorurteile zu nuancieren?

Auch die Grenze selbst – als komplexer Gegenstandsbereich, als räumliche, politische oder geographische, soziale oder kulturelle Trennung – wird an unserer Fakultät erforscht. Die Grenzforschung ist ein dynamisches Feld, das sich aus verschiedenen Disziplinen speist. Die darin entstehenden Einzelstudien werden trotz ihrer zuweilen fächerübergreifenden Anlage aber zumeist disziplinär verortet und rezipiert. Das Projekt „Konturen kulturwissenschaftlicher Grenzforschung“ (Prof. Hannes Krämer/Dominik Gerst, M.A., Institut für Kommunikationswissenschaft) adressiert dieses spannungsreiche Verhältnis und fragt nach den Möglichkeiten der Beschreibung von Grenzen jenseits eindeutiger disziplinärer Zuordnung. Verankert ist es am Viadrina Center B/ORDERS IN MOTION (Frankfurt/Oder), an dem Prof. Krämer externes assoziiertes Mitglied ist.

Für ihre Erforschung bedarf es es einer kulturwissenschaftlichen Konzeption der „Grenze“, die verschiedene Perspektiven in die analytische Erfassung einbeziehen kann. Kulturwissenschaften, verstanden als Zusammenspiel sozial- und geisteswissenschaftlicher Ansätze mit einer kulturtheoretischen Grundierung, stellen das Vernetzungsvokabular bereit. Grenzen sind als spezifische arbiträre Differenzsetzungen zu begreifen. Sie müssen als komplexe Zusammenhänge erforscht werden, wobei ihre symbolischen Ordnungen, kulturellen Codes, konstitutiven Praktiken, materiellen Präsenzen und technologischen Infrastrukturen empirisch und theoretisch in den analytischen Fokus rücken. Wie genau eine solche Forschung konzipiert werden kann, ist die zentrale Fragestellung des Projekts.

In diesem Kontext befasst sich Dominik Gerst in seinem Dissertationsprojekt mit „Grenzwissen im deutsch-polnischen Sicherheitsfeld“ (Betreuer: Prof. Krämer). Mit welchen sprachlichen Methoden bearbeiten Akteur*innen des Sicherheitsfeldes ‚die‘ Grenze? Im Zentrum des Interesses steht die kategoriale Ordnung der Grenze, die auf ein historisch gewachsenes und lokal ausdifferenziertes Grenzwissen verweist. Ethnomethodologisch sensibilisiert, stehen damit – wie in interdisziplinärer Grenzforschung und Grenzsoziologie üblich – nicht die Effekte und Konsequenzen von Grenzen im Fokus, sondern die Grenze und ihre diversifizierten Sinnzuschreibungen selbst.