Höhepunkte der vergangenen zwei Jahre

Die aus der Fakultät für Chemie geleiteten Sonderforschungsbereiche SFB/TRR 247 Heterogene Oxidationskatalyse in der Flüssigphase und SFB 1093 Supramolekulare Chemie an Proteinen laufen sehr erfolgreich in der ersten bzw. zweiten Förderperiode. Die Begutachtungen für eine zweite bzw. dritte Förderperiode finden in den nächsten beiden Jahren statt. Ebenfalls aus der Fakultät für Chemie geleitet werden das NRW-Forschungskolleg Future Water und das DFG-Schwerpunktprogramm 2122 Neue Materialien für die laserbasierte additive Fertigung, die gleichermaßen erfolgreich ihre Arbeit fortgesetzt haben. Diese laufenden Verbundvorhaben wurden im letzten Forschungsbericht ausführlich vorgestellt. Unter maßgeblicher Beteiligung der Fakultät für Chemie wurden drei SFBs bzw. SFB/TRRs 2019 und 2020 eingerichtet bzw. verlängert. Der SFB/TRR 270 Hysterese-Design magnetischer Materialien für effiziente Energieumwandlung unter Federführung der TU Darmstadt beschäftigt sich mit der Entwicklung und Charakterisierung neuer magnetischer Materialien als Kernelement effizienter Energietechnologien. Dabei stehen zwei Hauptkategorien magnetischer Materialien im Fokus: Starke permanente Magnete auf Basis von Seltenerdmetallen mit maximierter Hysterese und weichen Magneten mit minimierter Hysterese. Der SFB 1439 Degradation und Erholung von Fließgewässerökosystemen unter multiplen Belastungen unter Federführung der Fakultät für Biologie untersucht, wie drei ausgewählte Stressoren, Temperatur, Versalzung und Verschlechterung von Gewässerstruktur und Fließverhalten sich auf die Komponenten des Nahrungsnetzes von Fließgewässern und auf ökosystemare Funktionen auswirkt. Schließlich wurde der SFB 1242 Nichtgleichgewichtsdynamik kondensierter Materie in der Zeitdomäne unter Federführung der Fakultät für Physik erfolgreich verlängert. Nach einem Fokus auf dem besseren Verständnis dieser Dynamik in der ersten Förderperiode liegt der Schwerpunkt nun in einer gezielten Manipulation der Nicht-Gleichgewichtsdynamik durch ultrakurze, gepulste externe Stimuli wie Licht, Druck und Spannung. Aus der Fakultät für Chemie sind die Arbeitsgruppen von Prof. Eckart Hasselbrink und Prof. Sebastian Schlücker aus der Physikalischen Chemie mit dabei. Sie nutzen Methoden der Ultrakurzzeit-Laser-Spektroskopie (IR/Raman), um das Verhalten von Molekülen auf Oberflächen zu beobachten.

Seit einigen Jahren forschen mehrere Wissenschaftler*innen der Fakultät für Chemie in zwei Projekten zum Thema „Ursprung des Lebens“. Im Gemeinschaftsprojekt von Prof. Christian Mayer, Prof. Oliver J. Schmitz und Prof. Ulrich Schreiber wurde nun ein Tiefenbohrprojekt in der Eifel betrieben, um die Theorie zur Entstehung erster Protozellen in der Tiefe der Erdkruste weiter zu erhärten. Die dabei gewonnenen Bohrkerne aus etwa einem Kilometer Tiefe werden am Institut für Angewandte Analytische Chemie auf ihren Gehalt an möglichen Vorstufen zu Biomolekülen untersucht, deren Bildung in geologischem Umfeld stattgefunden hat. Die Ergebnisse werden mit Analysen abgeglichen, die an über drei Milliarden Jahre alten Quarzen aus Australien erzielt wurden. Hierbei sind besonders langkettige Kohlenwasserstoffe auffällig, die endständig oxidiert wurden und aufgrund ihrer Amphiphilie spontan Membranen bilden. Begleitend finden sich Aminosäuren sowie Vorstufen von Nucleotiden. Daneben übernahm die Physikalische Chemie die Leitung einer Arbeitsgruppe „Präbiotische Chemie“ der Deutschen Astrobiologischen Gesellschaft. Die Arbeiten an der Peptidevolution unter den Bedingungen von tiefgelegenen tektonischen Spalten wurden fortgesetzt.

Im zweiten, seit 2019 von der Volkswagen-Stiftung geförderten Projekt gehen Prof. Bettina Siebers, Dr. Christopher Bräsen und Dr. Sven Meckelmann gemeinsam mit Kolleg *innen der Fakultät für Biologie und der Universität Wageningen einer bisher ungelösten Frage der Evolutionsbiologie nach: Wie konnten sich die so genannten Eukaryoten aus der Domäne der Archaea entwickeln? Das Projekt „Lipid Divide“ versucht herauszufinden, wann und warum während der Eukaryoten-Evolution ein fundamentaler Wechsel in der Zusammensetzung der Membranlipide stattgefunden hat.

Die Chemiedidaktik führte u.a. zahlreiche Forschungsprojekte in der Studieneingangsphase durch. So konnte das BMBF-Projekt Chemie, Sozialwissenschaften und Ingenieurwissenschaften: Studienerfolg und Studienabbruch (CASSIS) unter der Leitung von Prof. Maik Walpuski abgeschlossen werden, das institutionelle und individuelle Variablen untersuchet, die den Studienabbruch beeinflussen. An den Projekten der DFG-ALSTER Gruppe sind mit Prof. Stefan Rumann, Prof. Elke Sumfleth und Prof. Maik Walpuski drei Chemiedidaktiker*innen an Projekten zur Untersuchung des Modellverständnisses in Chemiestudiengängen und zur Untersuchung des Einflusses von digitalem Feedback in Übungen beteiligt.

Ein besonderes Highlight der vergangenen zwei Jahre waren die herausragenden Erfolge der an der Fakultät tätigen jungen Wissenschaftler*innen in kompetitiven Programmen. Prof. Jochen Niemeyer, Prof. Michael Giese und PD Dr. Bilal Gökce wurden ins Heisenberg-Programm der DFG aufgenommen, Prof. Corina Andronescu konnte eine BMBF NanoMatFutur Nachwuchsgruppe einwerben und Dr. Kai Exner wurde ins NRW-Rückkehrprogramm des Landes Nordrhein-Westfalen aufgenommen. Neben der kurzen Darstellung der laufenden Verbundprojekte soll in diesem Forschungsbericht daher die Forschung dieser Kolleg*innen im Mittelpunkt stehen.

Das im BMBF-Nachwuchswettbewerb NanoMatFutur geförderte Projekt „MatGasDif“ von Frau Prof. Dr. Corina Andronescu zielt darauf ab, die elektrokatalytische CO2-Reduktion, hinsichtlich Katalysatorselektivität und Elektrodenstabilität zu optimieren. Zu diesem Zweck wurde ein Team zusammengestellt, das an der Entwicklung von Katalysatormaterialien arbeitet, die die CO2-Elektroreduktion selektiv zu Grundchemikalien wie Ethanol oder Ethylen katalysieren und gleichzeitig die parasitäre Wasserstoffentwicklung weitgehend unterdrücken. Das Projekt will über das Katalysatordesign hinausgehen und arbeitet an der Entwicklung einer optimierten porösen Gesamtelektrodenarchitektur, in die im Idealfall der aktive Katalysator stabil eingebettet ist und die die selektive Umwandlung von CO2 bei industriell relevanten Stromdichten ermöglicht. In „MatGasDif“ sollen insbesondere Strategien etabliert werden, die es erlauben, mehrere verschiedene Katalysatormaterialien innerhalb einer Kohlenstoffmatrix so zu immobilisieren, dass komplexe Folgereaktionen in einer definierten Reihenfolge in Form einer Kaskadenreaktionen ablaufen, wodurch die Selektivität der Reaktion erhöht wird.

Verzahnte Moleküle sind schon seit dem letzten Jahrhundert bekannt, aber ihre Anwendung steckt noch in den Kinderschuhen. Dabei bestehen verzahnte Moleküle aus mehreren Komponenten, die im Raum verwoben sind, analog den Gliedern einer Kette oder wie ein Ring auf einer beidseits geschlossenen Achse. Für hochkomplexe Herstellung von verzahnten Molekülen wurde 2016 der Chemie-Nobelpreis vergeben. An der UDE nutzen Prof. Jochen Niemeyer und sein Team verzahnte Moleküle für kooperative Katalysen, bei denen zwei aktive Einheiten zusammenwirken, um eine Reaktion zu steuern. Besonders die stereoselektive Katalyse zur Herstellung chiraler Produkte steht dabei im Vordergrund. Für sein Konzept zum Thema „Kooperative Systeme auf Basis chiraler Organophosphorsäuren“ wurde Jochen Niemeyer im Jahr 2019 in das Heisenberg-Programm der DFG aufgenommen. Seit November 2020 setzt er nun als Heisenberg-Professor für Organische und Supramolekulare Chemie seine Arbeit an der Fakultät für Chemie fort.

Prof. Dr. Michael Giese hat bisher eine Stiftungsjuniorprofessur der Professor-Werdelmann-Stiftung inne, leitet seit dem tragischen Tod von Prof. Carsten Schmuck 2019 aber derzeit in Vertretung dessen Lehrstuhl für Organische Chemie. Michael Giese erhielt für sein Projekt „Supramolekulare Flüssigkristalle – Ein modulares Konzept für ‚smartere‘ Materialien“ 2020 ebenfalls eine Förderung durch das Heisenberg-Programm der DFG. In seiner Forschung entwirft Michael Giese mit seinem Team eine Art Baukasten, dessen Komponenten sich zu Substanzen mit gewünschten Eigenschaften zusammensetzen lassen. Im Mittelpunkt der Arbeiten stehen dabei Flüssigkristalle. Mit dem Baukasten-System lassen sich z.B. Flüssigkristalle mit struktureller Farbe herstellen. Zudem sind die flüssigkristallinen Materialien adaptiv, d.h. sie reagieren auf Veränderungen in ihrer Umwelt. Wenn sich etwa die Temperatur ändert oder bestimmte Chemikalien anwesend sind, können die Flüssigkristalle ihre Eigenschaften anpassen. Dies kann zum Beispiel zu einer Farbänderung führen, was für die Konstruktion von Sensoren genutzt werden kann. Auch Michael Giese will als Heisenberg-Professor für Supramolekulare Materialien seine Arbeit an der Fakultät für Chemie fortsetzen, das Berufungsverfahren läuft derzeit.

Neben ihren eigenen Forschungsgebieten engagieren sich Michael Giese und Jochen Niemeyer (zusammen mit Jun.-Prof. Jens Voskuhl und Dr. Christoph Hirschhäuser) bei der Betreuung der Arbeitsgruppe von Prof. Carsten Schmuck (verstorben 2019). Die ersten Doktorand*innen konnten hier erfolgreich zur Promotion geführt werden und es sind in 2020 bereits zahlreiche hochkarätige wissenschaftliche Arbeiten entstanden und publiziert worden. In Würdigung der wissenschaftlichen Arbeit von Prof. Schmuck und seiner Rolle als Wissenschaftler, Kollege und Mentor entstand aus der Zusammenarbeit der jungen Kollegen ein Übersichtsartikel über seine wissenschaftlichen Erfolge. Der Artikel in ChemPlusChem mit dem Titel „Guanidiniocarbonyl-Pyrroles (GCP) – 20 Years of the Schmuck Binding Motif“ gibt einen Überblick über das von Prof. Schmuck entwickelte GCP Bindungsmotiv und zeigte die gesamte Breite der Anwendungsmöglichkeiten. Insbesondere die molekulare Erkennung, die (Selbst-) Assemblierung, die Anwendungen in Materialien sowie die biosupramolekularen Chemie werden hier in den Fokus gerückt.

Das enorme Potenzial des Pulver-basierten 3D-Drucks kann bis heute nicht voll ausgeschöpft werden, da viele verfügbare Materialien noch unzulänglich für diese Drucker sind. Hier setzt PD Dr. Bilal Gökce an; er möchte in seiner bewilligten Heisenberg-Förderung durch gezielte Zugabe von Nanopartikeln den 3D-Druck von neuen Materialien ermöglichen und die Eigenschaften von 3D-gedruckten Polymer- oder Metall-Bauteilen verbessern. Dabei verfolgt er folgenden Ansatz: Er untersucht, wie sich die laserbasierte Kolloidsynthese hochskalieren und die Größe der hergestellten Nanopartikel kontrollieren lässt, mit diesen Nanopartikeln entwickelt er dann neue Pulver für den 3D-Druck von Magneten, Optiken oder Materialien mit besonderen mechanischen Eigenschaften. So soll erstmals die ganze Prozesskette des 3D-Drucks – vom Material bis zum Bauteil – in einem ganzheitlichen Ansatz erforscht werden. PD Dr. Gökce hat kürzlich einen Ruf an die Bergische Universität Wuppertal auf eine W3-Professur für Werkstoffe für additive Fertigung angenommen.

Dr. Kai S. Exner ist derzeit als Feodor-Lynen-Stipendiat der Alexander-von Humboldt-Stiftung in der Theoretischen Chemie tätig. Die Forschung seiner Nachwuchsgruppe konzentriert sich auf die theoretische Beschreibung elektrisch aufgeladener Fest-/Flüssig-Grenzflächen, wie sie in Batterien, Brennstoffzellen oder Elektrolyseuren vorkommen. Die Fest-/Flüssig-Grenzfläche stellt ganz besondere Herausforderungen an die Modellierung, da diese Grenzfläche ein dynamisches Multiskalen-Problem darstellt, das neben der Zusammensetzung des Elektrodenmaterials und der physikalischen und chemischen Dynamik im angrenzenden wässrigen Elektrolyten von mehreren externen Parametern wie dem Druck, Temperatur und insbesondere dem Elektrodenpotential abhängt. Für eine realistische Beschreibung bedarf es daher einer Kombination von Methoden verschiedener Zeit- und Längenskalen, die Dichtefunktionaltheorie, molekulardynamische Simulationen, mikrokinetische Modellierungen und Screening-Techniken umfassen.

Im kürzlich eingeworbenen „Programm zur Förderung der Rückkehr des hochqualifizierten Forschungsnachwuchses aus dem Ausland“ des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft Nordrhein-Westfalen wird die Fest-/Flüssig-Grenzfläche in Metall-Luft-Batterien unter Verwendung einer Multiskalen-Modellierung untersucht, um das komplexe Zusammenspiel von Faktoren zu untersuchen, welche effiziente, bifunktionale Elektrodenmaterialien für die Sauerstoffelektrokatalyse in wässrigen und nichtwässrigen Elektrolyten beeinflussen. Herr Dr. Exner will diese Förderung zum Aufbau seiner Arbeitsgruppe an der Fakultät für Chemie nutzen. Dabei überbrückt er auch tradierte Fächergrenzen, da er einen Ruf auf eine Juniorprofessur mit Tenure Track „Strukturanalytik anorganischer Materialien“ in der anorganischen Chemie erhalten hat.