Geisteswissenschaften

Race, Whiteness, Ambiguität: Nordamerikastudien

In den USA stellte die die Wahl Obamas das Ende ethnischer und rassistischer Diskriminierung in Aussicht. Nach dem Ende seiner Amtszeit ist umstritten, ob wir in der Ära des ‚post-racial America‘ leben. Ereignisse wie die Proteste gegen Polizeigewalt in Ferguson und Baltimore scheinen diesem Optimismus zu wiedersprechen. Wo ist Rassismus eine Realität? Ist er in der Gesellschaft stärker als in der Literatur oder gar umgekehrt? Wenn Rassismus tatsächlich keine Rolle mehr spielt, welche Mechanismen könnten dazu geführt haben? Was passiert, wenn Kategorien wie ‚African‘ oder ‚Chicano‘ im literarischen und literaturwissenschaftlichen Diskurs an Bedeutung verlieren? Die Dissertation Disappearing Blackness? High Cultural Pluralist Voices and the Program Era (Courtney Moffett-Bateau M.A., Anglistik; Betr.: Prof. Barbara Buchenau mit Prof. Kornelia Freitag, RUB; Prof. Stephanie Batiste, UC-Santa Barbara; Begabtenförderung für ausländische Doktorand*innen KAS) untersucht die schwierige Positionierung ausgewählter Texte und Autorenfiguren der Gegenwart im Umfeld der Sehnsüchte nach einem Leben ohne ‚race‘.

Die Gleichung von ‚Americanness‘ und ‚Weißsein‘ kristallisierte sich mit dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg heraus. Zuvor waren Diskurse über die amerikanische ‚Nation‘ stark von Ambiguität als Grundprinzip geprägt, von jener Art Ambivalenz, die Kamau Brathwaite als „kulturelles Attribut des Kolonialen“ sieht. Das Habilitationsprojekt Indianer, Piraten, Kreolen: Produktive Ambiguitäten im Kolonialen Amerika (Arbeitstitel) von Dr. Elena Furlanetto (Anglistik) untersucht literarische Darstellungen von Individuen, die auf Grund ihrer ethnischen, religiösen (Indianer und Kreole), ‚rassischen‘ oder gesetzlichen (Piraten) Andersartigkeit als ambigue identifiziert wurden. Der Untersuchungszeitraum deckt das britische Amerika im 17. und 18. Jahrhundert ab, als der amerikanische Nationalismus noch die variable Form eines frühen Stadiums aufweist. Texte aus der Frühen Neuzeit imaginieren die nationale Gemeinschaft als synkritische Einheit, die sich auf Hybridität und fließenden Identitäten gründet. In diesem sozialen Kontext ist Ambiguität (häufiger noch als Konformität) für die Debatte über die nationale Identität von zentraler Bedeutung.

Die in Vorbereitung befindliche englischsprachige Monographie Interkulturelle Figurationen in der kolonialen Kulturgeschichte Nordamerikas (Prof. Barbara Buchenau, Anglistik) untersucht nicht-fiktionale und proto-wissenschaftliche Texte, Bilder und Karten des frühen Nordamerika (1540–1700) und ihre Wiederverwendungen in der Populärkultur und der populären Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts. Hier wird erstmals sozialwissenschaftliche Forschung über Stereotypisierung und Diskriminierung mit Ansätzen aus der Imagologie und der religiösen Typologie zusammengebracht, damit ein geisteswissenschaftlicher Zugang zu identitätsstiftenden Denkfiguren wie dem sogenannten ‚Indianer des weißen Mannes‘ entwickelt werden kann. Figurationen wie die auf Amerika übertragene biblische Kainsfigur führen konkurrierende kulturelle und religiöse Traditionen zusammen und liefern damit einen wichtigen Impuls für das gesellschaftliche Miteinander in ganz anderen interkulturellen Kontexten. Sie stellen grobe Handlungsmuster bereit, welche das Selbstverständnis, den Geschichtssinn wie auch die zukünftigen Optionen aller jener prägen, die an der durch die Denkfigur geleiteten Interaktion teilnehmen.

Die Mediation traditioneller Themen, Motive und Narrative amerikanischer Kultur in den computeranimierten Filmen der Pixar Studios untersucht Dr. Dietmar Meinel (Anglistik) in seinem Buch Pixar’s America: The Re-Animation of American Myths and Symbols. Ob interventionistische Cowboypuppen unterdrückte Spielfiguren befreien (Toy Story) oder außergewöhnlich talentierte Ratten sich ihre Träume erfüllen (Ratatouille): Pixarfilme animieren populäre amerikanische Mythen und Symbole. Da die Figuren, Motive und Narrative für ein zeitgenössisches Publikum adaptiert werden, fragt das Buch einerseits nach den erzählenden Inszenierungsstrategien der Filme: vom Frontier-Mythos und normativen Geschlechterbildern (WALL-E) zu der Vorstellung der voluntary associations und einer neoliberalen Gesellschaftsordnung (The Incredibles). Andererseits nimmt der Band die Ästhetik digitaler Animation als Form der Vermittlung amerikanischer Mythen und Symbole in den Blick, um deren ästhetische, narrative und ideologische Komplexität im populären Gegenwartskino zu erkunden.