Geisteswissenschaften

Sprachenvielfalt im Klassenzimmer

Bei jungen Menschen mit Zuwanderungs­hintergrund ist für den Erfolg beider Sprachen oft die Schulzeit mitentscheidend. Die Sprachenvielfalt bei ihren Schülern aber stellt LehrerInnen vor neue didaktische Herausforderungen: Sie müssten mit unterschiedlichen Herkunftssprachen, Sprachlernbiographien und einem heterogenen Sprachstand im Deutschen umgehen. Der Ballungsraum Rhein-Ruhr bietet „Labor­bedingungen“ für die Erforschung dieser Thematik: SprecherInnen verschiedenster Sprachen, eine Schullandschaft, die alle Typen aufweist, ­sowie eine große Zahl an Universitäten, immer auch Orte der Lehrerausbildung und der didaktischen Forschung.

Als Modellmaßnahme für die gesamte BRD kann mittlerweile der Förderunterricht für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund (Gülşah Mavruk und Dr. Claudia Benholz) gelten. Seit 40 Jahren an der UDE durchgeführt, bildet er die Grundlage für wissenschaftliche Untersuchungen verschiedener Lehramtsfächer, für Pilotierungen von größeren quantitativen Erhebungen und für empirische Examens-, Bachelor- und Masterarbeiten im Kontext Migration und Mehrsprachigkeit. Gülşah Mavruk arbeitet an ­einer Dissertation zum Berufsfeldpraktikum im Rahmen der Bachelor-Lehrerausbildung als Ort der Entwicklung von DaZ-spezifischen Handlungsmustern am Beispiel des Förderunterrichts für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund an der UDE.

Ein weiteres Modellprojekt im Bereich Lehrerausbildung ist ProDaZ – Deutsch als Zweitsprache in allen Fächern (Dr. Claudia Benholz). Gestartet 2010 und gefördert von der Stiftung Mercator und dem MIWF, sind seine Ziele unter anderem die Erarbeitung eines Lehrerausbildungskonzepts mit interdisziplinären Veranstaltungen zum fachlichen und sprachlichen Lernen unter den Bedingungen von Mehrsprachigkeit und der Ausbau von Theorie-Praxis-Projekten an der Universität in Kooperation mit zahlreichen Schulen der Region. In Zusammenarbeit mit den Fachdidaktiken an der UDE werden fachspezifische Anforderungen an SchülerInnen erforscht; ein Fokus liegt auf sprachlich-kultureller Heterogenität und sozialer Ungleichheit. Unter Berücksichtigung qualitativer und quantitativer Methoden werden Interaktionsmöglichkeiten von fachlichem und sprachlichem Lernen, Relevanz und Entwicklung von Sprachkompetenz im Kontext der Schulfächer sowie die empirische Wirksamkeit von Sprachfördermaßnahmen im Fach- und Sprachunterricht untersucht. ProDaZ erarbeitet ein onlinebasiertes Kompetenzzentrum zu den Themen Mehrsprachigkeit, Sprachentwicklung, Sprachstandsdiagnose, Sprachbildung und Sprachförderung. Acht Dissertationen sind im Rahmen des Projekts angelegt. Mit Prof. Büchter aus der Mathematikdidaktik führt Dr. Claudia Benholz eine empirische Untersuchung des Zusammenwirkens von sprachlichen und konzeptuellen Merkmalen in Mathematikaufgaben bei mehrsprachigen Schülerinnen und Schülern durch, die 15 Monate von der Qualitäts- und Unter­stützungsAgentur – Landesinstitut für Schule (QUA-LIS NRW) gefördert wird. In der Geschichtsdidaktik (Prof. Markus Bernhardt) arbeitet ­Mareike C. Wickner M. ed. an dem Forschungsvorhaben „Verstanden schon, aber auch begriffen?“ Eine empirische Untersuchung zum Begriffslernen von Schülerinnen und Schülern im Geschichtsunterricht.

Die Aneignung der Bildungs- und Schulsprache stellt für mehrsprachige Kinder und Jugendliche oftmals eine besondere Hürde dar. Um allen SchülerInnen Chancengerechtigkeit und Teilhabe am Bildungssystem zu ermöglichen, müssen LehrerInnen in der Lage sein, ihren Unterricht sprachsensibel zu gestalten. Doch wie können Lehramtsstudierende effektiv auf den Unterricht in mehrsprachigen Klassen vorbereitet werden? Das Aufgabenorientierte Peer-Tutorium zum DaZ-Modul (Prof. Katja F. Cantone-Altıntaş, Prof. Heike Roll, Anna Pineker, Laufzeit 10/2013–12/2015, gefördert vom Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache) unterstützt sie dabei, Mehrsprachigkeit als Potenzial und nicht als Problemfall zu sehen. Organisiert wird diese Form des Lernens in studentischen Tutorien, in Teilen online. Sie verstehen sich als Plattform der Reflexion des Grundlagenwissens im DaZ-Modul und des diskursiven Peer-Lernens. Nach Projektende werden die Aufgabensammlung, die Plattform und das Konzept zur Tutoren-Schulung anderen Hochschulen zur Verfügung gestellt.

Über die zunehmende Heterogenität in den Klassenzimmern kann auch die Aufteilung von SchülerInnen auf die unterschiedlichen allgemeinbildenden Schulen nicht hinwegtäuschen: Auf die Unterschiede bei Reifegraden, Begabungen, Kompetenzen und Interessen der Geschlechter, Ausgangssprachen und Sprachkompetenzen im Deutschen, die Bildungsvoraussetzungen des Elternhauses und die Lernhintergründe von ­Seiteneinsteigern muss mit einem differenzierenden und auch individualisierenden Unterricht reagiert werden. Am Institut für Anglophone Studien erforscht Prof. Maria Eisenmann ­Möglichkeiten der Differenzierung, Individualisierung und Lernautonomie im Englischunterricht. Sie leitete 2013 die AG zum Thema Differen­zierung und Individualisierung im Fremd- und Zweitsprachenunterricht beim 25. Kongress für Fremdsprachendidaktik der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung an der Universität Augsburg sowie die Sektion Indivi­dualisierung, Differenzierung, Heterogenität, ­Inklusion beim 2. E&M-Bundeskongress „Englischunterricht im Globalen Zeitalter. Standar­disierung und Lehrerbildung“ am 21./22. März 2014 an der Goethe-Universität Frankfurt/M.

Von der Professur für die Fachdidaktik der romanischen Schulsprachen Französisch und Spanisch (Prof. Daniel Reimann) werden in ­verschiedenen, zumeist interdisziplinären Projekten drei Aspekte des Themas Migration und Mehrsprachigkeit untersucht, die in der Mehrsprachigkeitsdidaktik der letzten Jahre vernachlässigt wurden: zum einen die kognitionspsychologischen Grundlagen schulischer Mehrsprachigkeit, zum anderen migrationsbedingte Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht sowie die Fragestellung, inwieweit die Herausforderung Mehrsprachigkeit im Bundeswettbewerb Fremdsprachen ein Instrument der individuellen Leistungsförderung sein kann. Auch bei den Projekten von Prof. Reimann dient das Ruhrgebiet als exemplarische Metropolregion für die Untersuchung migrationsbedingter Mehrsprachigkeit. Untersucht werden unter anderem Attitüden zu Herkunftssprachen im Fremdsprachenunterricht Französisch und Spanisch (mit Prof. Katja F. Cantone-Altıntaş, Laura Di Venanzio und Paul Haller), Herkunftssprachen und DaZ im Fremdsprachenunterricht (Französisch/ Spanisch) – unterrichtsmethodische Umsetzung (mit Maren Siems und Dr. Claudia Benholz), Herkunftssprachen in der Mehrsprachigkeitsdidaktik: exemplarische Fallstudien in der Metropole Ruhr (mit Prof. Judith Visser, Universität Bochum, ­Leseprozesse in mehrsprachigen Sprachlernbiographien (mit Prof. Elisabeth von Stockhausen und Chiara Reali, Institut für Psychologie).

Ebenfalls im Bereich Fremdsprache Spanisch, aber altersmäßig noch vor der Schule angesetzt, ist das DaZ/DaF-Projekt Mehrsprachigkeit ­Kinderleicht (Prof. Katja F. Cantone-Altıntaş), das einen deutsch-spanischen bilingualen Modellversuch im Kindergarten wissenschaftlich beratend und evaluierend begleitet.

2014 startete das interdisziplinäre BMBF-­Verbundforschungsprojekt Schreiben im Fachunterricht der Sekundarstufe I unter Einbeziehung des Türkischen. Eine empirische Studie zur Wirksamkeit von schreibfördernden Konzepten im Fachunterricht und im Herkunftssprachenunterricht Türkisch – SchriFT (Leitung: Prof. Heike Roll, DaZ/DaF). Aus unserer Fakultät sind ­Forschende verschiedener Institute beteiligt: Prof. Markus Bernhardt (Geschichte), Dr. Melanie Beese und Dr. Claudia Benholz (DaZ/DaF), Dr. Işıl Uluçam-Wegmann (Turkistik). Untersucht wird die Wechselbeziehung zwischen Fach- und Schreibkompetenzen im Deutschen und im Türkischen für SchülerInnen aus den Jahrgangsstufen 7 und 8 an Gesamtschulen. Ziel ist die Entwicklung einer textsorten­basierten Schreibförderung, die den Ausbau bildungs- und fachsprachlichen Handelns in den Sachfächern unterstützt.

Doch nicht nur den Kompetenzen im Bereich Sprache, auch der Sprach-Kreativität der (zumeist mehrsprachigen) SchülerInnen widmen sich mehrere Projekte, darunter die Sprachförderung durch Märchen (Dr. Andrea Schäfer, DaZ/DaF, und Ilse Brall). Ziel ist, ein wissenschaftlich fundiertes und praktikables Vorgehen für den Elementar- und Primarbereich in der Region zu entwickeln und umzusetzen, damit möglichst viele Kinder durch regelmäßige Märchenstunden nachhaltig in ihrer sprachlichen und kulturellen Entwicklung gefördert werden.

Im Sekundarbereich setzt dann Erzählen, Schreiben, Begleiten – Schreibwerkstätten im ­schulischen Ganztag (Prof. Heike Roll/Ina ­Lammers, DaZ/DaF) an. In Schreibwerkstätten schreiben und veröffentlichen die SchülerInnen Texte zu selbst gewählten Themen und kreativen Impulsen. SchülerInnen der unteren Jahrgänge werden ­dabei von zu SchreibbegleiterInnen ausgebildeten MitschülerInnen der 9. und 10. Jahrgangsstufe unterstützt. In der wissenschaftlichen Begleitung wird in regelmäßigen Abständen der Sprachstand ­erhoben und ausgewertet. Sprache durch Kunst (Darota Ogonska/Prof. Heike Roll, Dr. Andrea Schäfer, Prof. em. Rupprecht S. Baur/Dr. Karin Mohr, Museum Folkwang Essen) schließlich ist ein Kooperationsprojekt zwischen dem Museum Folkwang (Abteilung Bildung und Vermittlung) und dem Institut Deutsch als Zweit- und Fremdsprache (DaZ/DaF) der Universität Duisburg-Essen, das seit 2011 von der Stiftung Mercator gefördert wird. Das Projekt verfolgt das Ziel, Kinder und Jugendliche durch ein interdisziplinäres Angebot an kulturelle Bildung heranzuführen, das schulisches und außerschulisches Lernen gleichermaßen miteinander verbindet. Im Fokus steht somit eine ganzheitliche Förderung und Erweiterung der sprachlichen Ausdrucks­fähig­keit über eine künstlerisch-ästhetische Auseinandersetzung im Museum und eine intensive sprachdidaktische Vor- und Nachbereitung in den Schulen. Berücksichtigt werden auch die unterschiedlichen Herkunftssprachen und -kulturen.

Unterschiedlichen Kulturen – unterschiedliche Religionen: Das Forschungsprojekt Dialog und interreligiöses Lernen im kontextuellen Setting konfessionellen Religionsunterrichts der Metropolregion Rhein-Ruhr ist Teil des internationalen Verbundprojektes Religion und Dialog in modernen Gesellschaften (BMBF), an dem Partner aus Schweden, Norwegen, England und Hamburg beteiligt sind. Leiter des Projektes für die Metropolregion Rhein-Ruhr ist Prof. Thorsten Knauth ­(Institut für Evangelische Theologie und Arbeitsstelle ­interreligiöses Lernen. Mitarbeit Katharina Karp). Ziel des Projektes ist es, die kontextuellen Voraussetzungen und schulischen Bedingungen eines dialogischen Umgangs mit religiöser und kultureller Vielfalt zu erforschen. In Schulfallstudien werden Erfahrungen, Einstellungen und Deutungsmuster von Akteuren ganz unterschiedlichen kulturellen, religiösen und sozialen Hintergrundes erhoben, um zu klären, wie ­religiöses Lernen in Kontexten von Hetero­genität möglichst dialogisch angelegt werden kann. Die Forschung ist international vergleichend angelegt.