Geisteswissenschaften

Fremde – Heimat

In seinem Programm Hochschuldialog mit der Islamischen Welt fördert der DAAD einen ­besonderen Typ von Hochschulpartnerschafts­projekten, bei denen nach dem Konzept „Dialog durch Kooperation“ der Kulturdialog mit der ­islamisch geprägten Welt im Zentrum steht. Eine solche Partnerschaft unterhält das Institut für Geographie (Prof. Rudi Juchelka) mit der United Arab Emirates University. In wechsel­seitigen Summer-/Winterschools untersuchen Studierende Aspekte des wirtschaftlichen und urbanen Strukturwandels. Dabei wird auch die Rolle der Arbeitsmigranten im Ruhrgebiet und in den VAE erforscht.

Bei dem Stichwort Arbeitsmigration denken wir meist an den Zuzug von Arbeitskräften in ­einem industriellen Kontext. Eine andere Art aber zeigt das Habilitationsprojekt „Halb Dreck-, halb Götterland“. Künstlerreisen nach Italien im 20. Jahrhundert (Dr. Alma-Elisa Kittner, Kunst und Kunstwissenschaft). Mit Hilfe von Reise­stipendien und „Residencies“, seien es selbst ­organisierte Reisen oder Künstlerprojekte vor Ort, gehen Künstler ins Ausland. Viele von ihnen zieht es noch immer nach Italien, das bereits seit dem 16. Jahrhundert Ziel solcher Aufenthalte ist: Nicht zuletzt deren Ergebnisse haben über die Jahrhunderte unser Bild von Italien als arkadischem Sehnsuchtsort geprägt. Seinen Status als das klassische Ziel für Künstler hat Italien inzwischen eingebüßt. Doch weit mehr als 20 Nationen unterhalten dort – auch mit dem Ziel der staatlich geförderten Repräsentation – Studienzentren für bildende Künstler und Künstlerinnen. Nicht selten bleiben sie und werden so zu Migranten. Und ebenso wie bei Arbeitskräften in der Industrie sind es auch bei Künstlern oft ökonomische Aspekte, die den Anstoß dazu geben. Die Reflexion von Identität und Herkunftsort – insbesondere, wenn es sich um Künstler handelt, die einen ­Migrationshintergrund haben oder aus ehemals kolonisierten Ländern stammen – ist daher ein wichtiger Teil der Künstlerpositionierung: Das temporäre Atelier in Italien wird zum Austragungsort eigener historischer Positionierungen von Werk, Biographie und Künstlerrolle.

Kunst und Literatur schaffen Orte in unserer Imagination, schaffen „den Süden“, „den Osten“ aus „westlicher“ Sicht. Das Projekt Lost and Found in Translation. Japan in Fotografien im musealen Kontext von Dr. Madoka Yuki (Institut für Kunst und Kunstwissenschaft) untersucht anhand von Japanbildern in fotografischen Sammlungen in US-amerikanischen und deutschen Museen die mediale Übersetzung der fremden Kultur, den fremden Blick auf Japan und die Kategoriebildung „Japan“ in einer mehrsprachigen Perspektive auf die japanische Fotogeschichte (Japan, USA, Deutschland).

Reisen, die Heimat verlassen, auswandern: Insbesondere die Überfahrt über den Atlantik markierte aus europäischer Sicht lange den ­Aufbruch an einen besseren Ort. Der „Black ­Atlantic“ (Paul Gilroy) aber steht für die schwarze Diaspora, für die systematische Versklavung afrikanischer Männer und Frauen. Den Atlantik als transnationalen Migrationsraum der „Personen“ und „Dinge“ zwischen Afrika, Europa und den Amerikas für eine transkulturell ausgerichtete Kunstwissenschaft der Moderne zu erschließen, ist das Ziel mehrerer Forschungs- und Publika­tionsprojekte zum Black Atlantic von Prof. ­Gabriele Genge (Kunst und Kunstwissenschaft): Mehrsprachigkeit in übertragenem Sinne verstanden als Öffnung des Faches für die Pluralität der Bildmedien und ihre kolonialen bzw. postkolonialen Verhandlungen zwischen „westlichem“ Bildbegriff und „nicht-westlicher“ Dingmagie und Fetischismus. Ausgangspunkte bilden die kulturpolitischen Beziehungen zwischen den USA, Frankreich, Deutschland und dem Senegal im Kontext von Négritude und Dekolonisation.

Menschen, die – ob aufgrund freiwilliger oder ungewollter Migration oder auch aufgrund einer Gefangennahme – mehrsprachig aufgewachsen sind und im Laufe ihres Lebens die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion, einem konkreten kulturellen oder gesellschaftlichen Kontext und/oder einer ethnische Gruppe gewechselt haben, stehen im Zentrum des Publikations- und Forschungsprojekts Renegatenfiguren und Mediatoren im Spannungsfeld von Migration und Mehrsprachigkeit (Prof. Barbara Buchenau, Elena Furlanetto und Courtney Moffett-Bateau, Institut für Anglophone Studien). Zwei Monographien sind geplant; die Ergebnisse sind Bestandteil der Vorarbeiten, die ab 12/2014 im Rahmen einer Anschubfinanzierung durch MERCUR gefördert werden.

Migration und Exil, Auswanderung und Flucht –  ihre literarische Verarbeitung in einem inner­europäischen Kontext untersucht das Projekt German- and Yiddish-speaking emigrants and ­refugees in London, 1848–1945: Literary and ­Cultural Perspectives von Prof. Christoph Heyl (Institut für Anglophone Studien). Es thematisiert Selbstbilder und Außenperspektiven (vor allem in englischen, aber auch in deutschen und jiddischen Texten), die kulturelle Erinnerung in Bildmedien, Musik und literarischer Moderne.

Der Gegenbegriff zur Fremde, zum „anderen“ Ort, ist die Heimat. „Zuhause sein“, damit haben sich Studierende der Kunst und Kunstwissenschaft basierend auf gemeinsam erarbeiteten ­Interviews filmisch beschäftigt (Prof. Susanne Weirich/Johannes Buchholz). In dreiminütigen Videos haben sie ihre Ideen und Wunschprojektionen von Heimat, Herkunft, Rückzugsort und Region umgesetzt. Die in Eigenregie erstellten filmischen Montagen führen durch individuelle Räume, sowohl physische als auch emotionale, seien sie real, künstlich, phantastisch, animiert, erinnert oder erfunden. Aus dem Kurzfilm-­Projekt ZUHAUSE SEIN … stammen die Fotos in diesem Bericht.